Volkstrauertag: Bürgermeister Hajo Siemes hält Rede

Sehr geehrte Damen und Herren – liebe Bürgerinnen und Bürger.

es ist mir eine große Ehre, heute hier vor Ihnen zu sprechen und gemeinsam den Volkstrauertag zu begehen. Der Volkstrauertag ist ein wichtiger Tag, an dem wir unseren Respekt und unsere Anerkennung für all jene Menschen zum Ausdruck bringen, die im Krieg und in anderen gewaltsamen Konflikten ihr Leben lassen mussten.

Vor fast genau hundert Jahren wurde der Volkstrauertag eingeführt, als Gedenktag für die Kriegstoten des Ersten Weltkriegs. Als ich über 2024 und über die Bedeutung der heutigen Kranzniederlegung – und damit über meine Ansprache als Bürgermeister zum Volkstrauertag nachdachte, da fand ich ein bemerkenswertes Zitat des damaligen Reichstagspräsidenten, Paul Löbe. 

Er hielt die Rede bei der ersten offiziellen Volkstrauertags Feier nach dem ersten Weltkrieg und erklärte einmal, ich zitiere:“ Es müssen Gesetze geschaffen werden, durch welche die für einen Kriegsausbruch Verantwortlichen gezwungen würden, als erste in die Schützengräben zu gehen.“

Beim Blick auf den Kalender stellt sich doch die Frage:
Wie viel hat sich eigentlich bis heute nach etwa hundert Jahren, geändert?

Nicht geändert hat sich, dass die Verantwortlichen für Kriege nur selten zur Rechenschaft gezogen werden. Zwar gibt es mittlerweile den „Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte“ in Den Haag, aber wann werden hier die wirklich Verantwortlichen für die Kriege in der heutigen Zeit schon mal zur Verantwortung herangezogen?

Wären Gesetze, wie sie Paul Löbe damals forderte, nicht auch heute sinnvoll, um ein friedliches Miteinander zu erreichen und die Verursacher von Kriegen zur Verantwortung zu ziehen?

Bei der Vorbereitung meiner kurzen Ansprache stellte ich mir eine provokante Frage.

Ich fragte mich:

Ist unser gemeinsames Gedenken am Volkstrauertag noch zeitgemäß?

Ich sage Ja, das ist es, … vielleicht sogar dringender als je zuvor.

In einer Zeit, in der auch Deutschland an mehreren Kriegen mit beteiligt ist und durch Waffenexporte Kriege unterstützt, in einer solchen Zeit – in unserer Zeit! – da bekommt der Volkstrauertag plötzlich eine ungeheure Aktualität.

Wir dürfen uns keinen Illusionen hingeben – der Weltfrieden ist in Gefahr. Nationale und internationale Konflikte nehmen zu, und der Einsatz von Gewalt ist immer noch eine traurige Realität in vielen Teilen der Welt. Die Kriege in der Ukraine, im Nahen Ost, im Sudan und in anderen Teilen der Welt sind heute sehr nah und aktuell und wir als Deutsche sind daran beteiligt.

Der Volkstrauertag erinnert uns an die Folgen von Krieg, Zerstörung und Leid – sowohl für diejenigen, die kämpfen, als auch für die Zivilbevölkerung. Er erinnert uns an unsere Verantwortung für den Frieden und die Würde eines jeden Menschen. Der Volkstrauertag erinnert uns daran, wie wichtig es ist, den Frieden zu wahren und gewalttätige Konflikte zu verhindern.

Es ist unsere Verantwortung, dafür einzutreten, dass sich die Geschichte auch in Europa nicht wiederholt. Wir müssen die Mechanismen der Gewalt durchbrechen und uns für friedliche Lösungen einsetzen. Frieden kann nur durch Verständnis, Toleranz und Dialog erreicht werden.

Wir müssen die Spirale der Gewalt durchbrechen auch dadurch, dass wir eine erneute Aufrüstung und weitere Waffenexporte in die Kriegsgebiete der Welt nicht als die Lösung des Problems erkennen, sondern uns daran erinnern, dass „Frieden schaffen ohne Waffen“, das Leid überall in der Welt verringen kann. Denn was ist schlimmer, als Tod, Zerstörung und Vertreibung?

Das friedfertige Lösungen bei Konflikten mit Diktatur und Gewaltherrschaft möglich sind, haben wir im eigenen Land vor 35 Jahren selbst erfahren können, als wir die friedliche Wiedervereinigung unseres Landes miterleben konnten.  

Heute gedenken wir der gefallenen Soldaten und der getöteten Zivilisten. Wir erinnern an Menschen, die in der Gefangenschaft oder auf der Flucht umkamen. Wir gedenken der Männer und Frauen, die ihren Widerstand gegen die Diktatur mit ihrem Leben büßen mussten. Wir erinnern an Mitbürgerinnen und Mitbürger, die verfolgt und vernichtet wurden, weil sie als Juden oder Mitglieder ethnischer Minderheiten nicht in das rassistische Bild der Nazis passten. Wir erinnern uns ebenso an vor Kriegen geflüchtete Menschen, die entwurzelt wurden. Gerade heutzutage sind Flüchtlingsströme aus aller Welt unterwegs und machen deutlich: Frieden gibt es noch lange nicht.

Für ein friedvolles und soziales Miteinander, sind Achtung und Toleranz gegenüber unseren Mitmenschen unabhängig von ethnischer Herkunft oder persönlichen Weltanschauungen entscheidend. Im Kleinen wie im Großen.

Auch jetzt, während wir uns zu einer stillen Stunde des Innehaltens, der Trauer und des Erinnerns versammelt haben, kämpfen woanders Menschen um ihr Leben oder sind in Ihrer Freiheit bedroht, ob in der Ukraine, dem nahen Osten oder in Afrika oder irgendwo auf der Welt.

Wir sind gefordert und manchmal überfordert. Die Erinnerung und das Mitgefühl dürfen deshalb nicht ausgelöscht werden, sondern sollten ein aktives Ringen um Frieden in der Welt nach sich ziehen. Wir dürfen eben nicht vergessen, dass Frieden und ein friedliches Miteinander nicht selbstverständlich sind.

Unser Wissen um die Geschichte, die Informationen über unheilvolles Geschehen auch in der Gegenwart verpflichten uns, die Stimme zu erheben gegen Verletzungen der Menschenrechte und des Völkerrechts in der ganzen Welt.  Dazu zählt auch, dass wir rechtsextreme Gewalt und radikal-islamistischen Terror auch hier in Deutschland nicht zulassen dürfen.


Liebe Mitmenschen,

auch ich bin manchmal angesichts der Kriege, der Unterdrückung durch Diktatoren und deren Folgen für die Menschen, verzweifelt und ratlos und weiß oft nicht, wie man all dem Elend und der Gewalt begegnen soll, aber eins ist für mich klar: auch wenn es z.Zt. noch unrealistisch erscheint,

immer nur mehr Waffen zu produzieren, zu exportieren und einzusetzen, kann nicht die Lösung von Konflikten sein.

In diesem Sinne möchte ich Sie alle dazu aufrufen, sich aktiv für den Frieden einzusetzen. Ob groß oder klein – jeder Beitrag zählt. Schaffen wir gemeinsam eine Welt, in der der Volkstrauertag nur noch eine Erinnerung an vergangene Zeiten ist, in der Krieg und Gewalt keine Rolle mehr spielen.

Möge der Volkstrauertag uns dazu inspirieren, den Frieden zu schaffen zu bewahren und uns für eine bessere Welt einzusetzen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Hajo Siemes, Bürgermeister

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