Anfrage von Karl Sasserath an den Oberbürgermeister am 27.01.2017
Sehr geehrte Herr Oberbürgermeister,
namens der grünen Ratsfraktion wende ich mich an Sie mit folgender Anfrage:
Der Gesetzgeber hat das Sozialgesetzbuch II (SGB II) mit differenzierten Sanktionen ausgestattet. Das Instrumentarium reicht von der 10% prozentigen Kürzung über die 30 prozentige Kürzung bis zur vollständigen 100% Prozent Kürzung des Regelbedarfes einschließlich der Unterkunftskosten. Für die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) ist das Jobcenter Mönchengladbach zuständig. Die gleichen Sanktionen finden sich im Sozialgesetzbuch XII (SGB XII), dessen Ausführung in die Zuständigkeit der Stadt Mönchengladbach als kommunaler Träger fällt. In Bedarfsgemeinschaften, in denen das Jobcenter z.B. auf Grund einer fehlenden Mitwirkung oder einer Verletzung der Meldepflicht das Jobcenter eine vollständige Einstellung der Leistungen verfügt, werden von dieser Entscheidung auch die in Bedarfsgemeinschaft lebenden Kinder und Jugendlichen erfasst.
Vor diesem Hintergrund bitten wir um die Beantwortung folgender Fragen:
1. Sieht die Stadt Mönchengladbach bei Bedarfsgemeinschaften, in denen Kinder und Jugendliche zu den Haushalten zählen, durch die Einstellung oder die erfolgte Einstellung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II den Eintritt einer Lebenslage gegeben, die eine Gefährdung des Kindeswohl oder eine Jugendgefährdung auslöst?
2. In wie vielen Fällen wurden in den Jahren 2015 und 2016 in Mönchengladbach gegen Bedarfsgemeinschaften bzw. Familien, die zur Deckung ihres Lebensunterhaltes auf Leistungen des Sozialgesetzbuches II (SGB II) oder durch das Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) angewiesen waren und in denen Kinder und Jugendliche lebten 100 Prozent Sanktionen ausgesprochen?
3. Gibt es zwischen der Stadt Mönchengladbach, dem Jobcenter bzw. dem Träger der Grundsicherung ggf. unter Einschluss von freien Trägern eine Vereinbarung oder Handlungsanweisung wie in Fällen, in denen Bedarfsgemeinschaften und Familien, die ihren Lebensunterhalt aus Leistungen des Sozialgesetzbuches II (SGB II) oder dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) decken, und zu deren Haushalt Kinder und Jugendliche zählen, in Fällen in denen eine 100 Prozent Sanktion verhängt wird, zu verfahren ist?
4. Wenn ja, wo ist diese Vereinbarung nachzulesen?
5. Ist zur Zeit sichergestellt, dass das Jobcenter Mönchengladbach oder der Träger der Grundsicherung nach dem SGB XII die Stadt Mönchengladbach immer dann informiert, wenn gegen Bedarfsgemeinschaften und Familien, die ihren Lebensunterhalt aus Leistungen des Sozialgesetzbuches II (SGB II) oder dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) decken, und zu deren Haushalt Kinder und Jugendliche zählen, eine 100 Prozent Sanktion verhängt ist oder verhangen wird?
6. Hat die Stadt Mönchengladbach die freien Träger, die Aufgaben für die Stadt im Rahmen von Leistungsverträgen erbringen, davon in Kenntnis gesetzt, dass in Fällen einer 100 Prozent Sanktion gegen Bedarfsgemeinschaften und Familien, zu deren Haushalt Kinder und Jugendliche zählen, eine Kindeswohl Gefährdung anzunehmen i ist, die den Träger verpflichtet, das Jugendamt der Stadt Mönchengladbach hiervon in Kenntnis zu setzen?
7. Gegen wie viele Leistungsempfänger*innen, die zur Gruppe U 25 gehören wurden in den Jahren 2015 und 2016 in Mönchengladbach eine 100 Prozent Sanktion verhangen?
Für eine zeitnahe Beantwortung dieser Fragen wäre ich Ihnen sehr verbunden.
Mit freundlichen Grüßen
Karl Sasserath, Fraktionsvorsitzender Bündnis 90/ Die Grünen
Antwort der Verwaltung vom 20.02.2017
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Sasserath,
bezugnehmend auf Ihre Anfrage vom 27.01.2017 erfolgt nachfolgend die Beantwortung der hier aufgeworfenen Fragestellungen. Die Beantwortung wird gesondert für die Leistungsgewährung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) sowie der Leistungsgewährung im Rechtskreis des SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel SGB XII und Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach 4. Kapitel SGB XII) erfolgen.
Die Fragestellungen aus der Anfrage werden nachfolgend beantwortet:
1. „Sieht die Stadt Mönchengladbach bei Bedarfsgemeinschaften, in denen Kinder und Jugendliche zu den Haushalten zählen, durch die Einstellung oder die erfolgte Einstellung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II den Eintritt einer Lebenslage gegeben, die eine Gefährdung des Kindeswohl oder eine Jugendgefährdung auslöst?“
Ebenso wie bei der Einstellung bzw. der drohenden Einstellung der Energieversorgung stellt aus Sicht der Stadt Mönchengladbach auch die Sanktionierung von Leistungsansprüchen bei Bedarfsgemeinschaften mit minderjährigen Kindern und Jugendlichen eine besondere Lebenssituation dar, die eine Gefährdung des Kindeswohles verursachen kann.
In einer Kooperationsvereinbarung zwischen dem Jobcenter Mönchengladbach und dem Fachbereich Kinder, Jugend und Familie ist ein intensiver Informationsaustausch in diversen Lebenslagen vereinbart. Inhaltlich wird hierauf in den nachfolgenden Beantwortungen eingegangen.
2. „In wie vielen Fällen wurden in den Jahren 2015 und 2016 in Mönchengladbach gegen Bedarfsgemeinschaften bzw. Familien, die zur Deckung ihres Lebensunterhaltes auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) oder durch das Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) angewiesen waren und in denen Kinder und Jugendliche lebten 100 Prozent Sanktionen ausgesprochen?“
Sanktionsnormen bei Pflichtverletzungen der Leistungsberechtigten wie die der §§ 31 ff. SGB II (Pflichtverletzungen) kennt das SGB XII nicht. Die Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel SGB XII sowie der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sind personenbezogen Leistungsansprüche beim Vorliegen der anspruchsbegründenden Voraussetzungen, so dass Sanktionen ebenfalls nur personenbezogen erfolgen können.
Fasst man den in der Anfrage verwandten Begriff der „Sanktionen“ weit, könnte man die gesetzliche Norm des § 26 SGB XII (Einschränkungen, Aufrechnungen) hierin einbeziehen. Die Einschränkung erfolgt personenbezogen auf volljährige Leistungsberechtigte und ist in der Höhe auf 20 % des Regelbedarfs der Stufe 2 beschränkt. § 26 Absatz 1 Satz 2 SGB XII enthält darüber hinaus eine Schutzvorschrift. Hiernach ist soweit wie möglich zu vermeiden, dass die unterhaltsberechtigten Angehörigen oder andere mit ihnen in Haushaltgemeinschaft lebende leistungsberechtigte Personen durch die Einschränkung der Leistung mit betroffen werden.
Aktuell befinden sich 50 minderjährige Leistungsberechtigte als Haushaltsangehörige in 43 Leistungsfällen der Hilfe zum Lebensunterhalt. In den vorgenannten Leistungsfällen erfolgen keine Einschränkungen.
Für den Leistungsbereich des SGB II erfolgte die nachfolgende Datenauswertung über vollsanktionierte (100 %) erwerbsfähige Leistungsberechtigte in Bedarfsgemeinschaften mit Kindern (Quelle: Statistik Service West, Agentur für Arbeit).
01.01.2015 bis 31.12.2015 – 60 Personen
01.01.2016 bis 31.12.2016 – 44 Personen
3. „Gibt es zwischen der Stadt Mönchengladbach, dem Jobcenter bzw. dem Träger der Grundsicherung ggf. unter Einschluss von freien Trägern eine Vereinbarung oder Handlungsanweisung wie in Fällen, in denen Bedarfsgemeinschaften und Familien, die ihren Lebensunterhalt aus Leistungen des Sozialgesetzbuches II (SGB II) oder dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) decken, und zu deren Haushalt Kinder und Jugendliche zählen, in Fällen in denen eine 100 Prozent Sanktion verhängt wird, zu verfahren ist?“
„Wenn ja, wo ist diese Vereinbarung nachzulesen?“
In Bezug auf das Leistungsrecht des SGB XII wird auf die Beantwortung der Frage 2 verwiesen. Im Leistungsrecht des SGB XII ergeben sich keine Fallkonstellationen, die zu einer 100-prozentigen Einstellung der Leistungen führen, insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt im Haushalt lebender Kinder.
Im Rahmen einer Kooperationsvereinbarung zwischen dem Jobcenter Mönchengladbach und dem Fachbereich Kinder, Jugend und Familie erfolgt eine enge Zusammenarbeit und ein ständiger Austausch im Kontext der Leistungsgewährung SGB II und SGB VIII. Ein wesentlicher Bestandteil bildet das Vorgehen im Hinblick auf mögliche Kindeswohlgefährdungen entsprechend dem Schutzauftrag aus § 8 a SGB VIII. Hierin ist ein intensiver Informationsaustausch in diversen Lebenslagen vereinbart. Der Fachbereich Kinder, Jugend und Familie erkennt dabei seine Verpflichtung an, allen Hinweisen auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung nachzugehen. Werden bei Kundenkontakten im Jobcenter Hinweise gewonnen, die eine potentielle Kindeswohlgefährdung annehmen lassen, erfolgt ein entsprechender Hinweis an den Fachbereich Kinder, Jugend und Familie. Ein Informationsaustausch zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jobcenter und dem Allgemeinen Sozialen Dienst ist u.a. vorgesehen, wenn bei Bedarfsgemeinschaften mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern Sanktionen in Höhe von 30 % und mehr eintreten.
Die Kooperationsvereinbarung füge ich in Ablichtung meinem heutigen Schreiben zur Kenntnisnahme bei.
4. „Ist zur Zeit sichergestellt, dass das Jobcenter Mönchengladbach oder der Träger der Grundsicherung nach dem SGB XII die Stadt Mönchengladbach immer dann informiert, wenn gegen Bedarfsgemeinschaften und Familien, die ihren Lebensunterhalt aus Leistungen des Sozialgesetzbuches II (SGB II) oder dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) decken, und zu deren Haushalt Kinder und Jugendliche zählen, eine 100 Prozent Sanktion verhängt ist oder verhangen wird?“
Auf die Beantwortung der Frage 3 und das Vorliegen der Kooperationsvereinbarung zwischen dem Jobcenter Mönchengladbach und dem Fachbereich Kinder, Jugend und Familie wird verwiesen. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Jobcenter Mönchengladbach ist bekannt, dass der Allgemeine Soziale Dienst des Fachbereiches Kinder, Jugend und Familie zu informieren ist, wenn in Bedarfsgemeinschaften mit einem oder mehreren Kinder u.a. Sanktionen in Höhe von 30 % und mehr eintreten.
5. „Hat die Stadt Mönchengladbach die freien Träger, die Aufgaben für die Stadt im Rahmen von Leistungsverträgen erbringen, davon in Kenntnis gesetzt, dass in Fällen einer 100 Prozent Sanktion gegen Bedarfsgemeinschaften und Familien, zu deren Haushalt Kinder und Jugendliche zählen, eine Kindeswohl Gefährdung anzunehmen ist, die den Träger verpflichtet, das Jugendamt der Stadt Mönchengladbach hiervon in Kenntnis zu setzen?“
In einer Vielzahl von abgeschlossenen Leistungsvereinbarungen mit freien Trägern in der Stadt Mönchengladbach wurde insbesondere der Schutzauftrag nach § 8 a SGB VIII vertraglich geregelt. Hiernach stellen die Auftragnehmer sicher, dass eine unverzügliche Unterrichtung des Fachbereiches Kinder, Jugend und Familie -Allgemeiner Sozialer Dienst- erfolgt, wenn eine Auffälligkeit des Kinderverhaltens oder der Familiensituation erkennbar ist, wodurch möglicherweise ein Gefährdung des Kindeswohls vorliegt. Eine spezielle Verweisung auf Fälle mit einer 100-prozentigen Sanktion erfolgt nicht. Die Sicherstellung der Einschaltung des Allgemeinen Sozialen Dienstes wird durch die oben bereits näher bezeichnete Kooperationsvereinbarung wesentlich effektiver umgesetzt, da der jeweilige freie Träger nicht unbedingt die Information über eine Sanktionierung von Seiten der Leistungsberechtigten erhält.
6. „Gegen wie viele Leistungsempfänger*innen, die zur Gruppe U 25 gehören wurden in den Jahren 2015 und 2016 in Mönchengladbach eine 100 Prozent Sanktion verhangen?“
Die Fragestellung bezieht sich ausschließlich auf den Personenkreis der Leistungsberechtigten in der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Für den Leistungsbereich des SGB II erfolgte die nachfolgende Datenauswertung übervollsanktionierte (100 %) erwerbsfähige Leistungsberechtigte < 25 Jahren (Quelle: Statistik Service West, Agentur für Arbeit).
01.01.2015 bis 31.12.2015 – 117 Personen
01.01.2016 bis 31.12.2016 – 96 Personen
Mit freundlichen Grüßen
In Vertretung
Dörte Schall