„Dies ist kein Film …“
Im Osten der Stadt Erkelenz und südlich von Mönchengladbach vollzieht sich momentan eine entscheidende Auseinandersetzung um die Ausrichtung unserer zukünftigen Energiegewinnung.
Zweieinhalb Jahre nach dem Aufsehen erregenden Abriss des Immerather Doms im Januar 2018 liegt die für die Auskohlung vorbereitete weiträumige Fläche dieses ehemaligen Ortes nach wie vor ungenutzt brach. Eigentlich sollte hier nun längst der Kohleabbau in vollem Gange sein, aber entscheidend für den RWE-Konzern ist offensichtlich nur, dass der Kampf um die Zerstörung von Immerath gewonnen ist. Und so graben sich die 100 Meter hohen Bagger seither in Richtung der noch bewohnten Erkelenzer Dörfer vor. Seit Montag, dem 20. Juli wird nun die noch zwischen Tagebau und Dörfern vorhandene Landstraße L277 abgerissen und auf diese Weise zugleich eine Verbindungsstraße entfernt, die seit der Verlegung der Autobahn A61 für den regionalen Autoverkehr in Nord-Süd-Richtung von besonderer Bedeutung war. Mit der – nach den langjährigen Erfahrungen mit RWE offensichtlich beabsichtigten – Folge, dass nun das gesamte Verkehrsaufkommen über eine Nebenstrecke den noch bewohnten kleinen Ort Keyenberg durchfließt. Die Polizei sieht sich personell nicht im Stande, das für LKW verhängte Durchfahrverbot zu überwachen. Gleichzeitig wird in Sichtweite der Abriss der L277 mit einem Großaufgebot der Polizei begleitet.
Der Kampf um den Erhalt der vom Braunkohletagebau bedrohten Erkelenzer Dörfer hat längst seinen regionalen Charakter verloren. Nach der über viele Jahrzehnte für die Kohle vollzogenen Vertreibung von etwa 40.000 Menschen alleine im Rheinland ist die Auseinandersetzung um die Bewahrung von Heimat und Kulturlandschaft heute untrennbar verbunden mit der Einforderung der durch die Bundesregierung im Pariser Klimaschutzabkommen vertraglich zugesicherten Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Es geht immer noch um die Bewahrung von Heimat, aber dieser Begriff lässt sich nicht mehr auf eine Region eingrenzen. Heimat ist global. Die nach wie vor enormen durch die Braunkohlekraftwerke verursachten CO2-Emissionen tragen angesichts vorhandener technischer Alternativen in unverantwortlicher Weise zur Klimaveränderung und damit zur Zerstörung unserer Lebensgrundlagen bei.
Erst langsam findet die mit dem Tagebau einher gehende großräumige Vernichtung der Grundwasservorräte Beachtung. Für die im Rheinland derzeit in Tiefen von bis 200, bzw. 400 Metern betriebene Kohleförderung ist ein noch weiter hinab reichender Grundwasserentzug erforderlich, der sich im weiten Umkreis, u. a. bis in die Niederlande und bis an den Rhein bemerkbar macht. Hunderte Millionen Kubikmeter werden jährlich für die Tagebaue Garzweiler II und Hambach abgepumpt und überwiegend in Flüsse abgeleitet (entsorgt). In Zeiten bereits spürbar länger andauernder Trockenphasen und deutlicher Warnungen vor einer weltweit zunehmenden Trinkwasserverknappung werden durch den Braunkohletagebau hierzulande die Grundwasserkörper der zuvor wasserreichen Rheinischen Bucht auf Generationen stark geschädigt. Gleiches geschieht in den ostdeutschen Kohleregionen. Die Auswirkungen der sogenannten Kippenversauerung und der über Jahrzehnte betriebenen Ablagerung von Kraftwerksrückständen und Aschen auf die lange nach Beendigung des Tagebaus wieder verfügbaren Wasserqualitäten sind noch überhaupt nicht kalkulierbar. Ihr gesamtes Ausmaß wird wohl erst nach Beendigung des Tagebaus erkennbar werde.
Und so sind es nicht mehr nur die Bewohner einer überschaubaren Anzahl von kleinen Orten, die sich den Energieriesen, RWE hier in Nordrhein-Westfalen, in den Weg stellen. Junge Menschen fordern seit nunmehr zwei Jahren mit ihren Protesten eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten ein, und immer mehr verantwortungsbewusste Menschen haben sich ihnen in verschiedensten Gruppierungen zur Seite gestellt; nicht zuletzt die Scientists for Future, deren Stellungnahme mit der Forderung nach einer spätestens im Jahre 2030 vollständig beendeten Beendung der Kohleverbrennung im Frühjahr 2019 von mehr als 26.000 Wissenschaftlern unterzeichnet wurde. Auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) gab bereits im Januar 2018 eine Studie zum Klimaschutz heraus. Dort heißt es unter anderem: „Nachhaltiger Klimaschutz eröffnet vielen unserer Unternehmen langfristig Chancen auf dem wachsenden Weltmarkt für klimaschonende Produkte und Prozesse. Richtig gemacht unterstützt er die Modernisierung einer Volkswirtschaft.“ „Wenn wir demonstrieren, dass wir die Energiewende sowohl technisch als auch wirtschaftlich beherrschen, könnten wir weltweit viele Nachahmer finden – mit riesigen Chancen für die deutsche Industrie. Denn wir bauen die Kompetenz auf, ein komplexes Energiesystem der Zukunft sicher zu beherrschen. Unsere Studie zeigt, dass es möglich ist.“ (Dr. Carsten Rolle, BDI).
Unterdessen gehen die Zerstörungen weiter, werden jedoch immer noch von vielen Menschen kaum wahrgenommen. Aus diesem Grunde startet der in Mönchengladbach wohnende Reinhard Noffke in diesem Jahr seine dritte Plakataktion, die das Thema Braunkohle wieder in den Fokus der Öffentlichkeit stellen soll. Unterstützt wird dieses Projekt vom Kreisverband der Grünen in Mönchengladbach sowie einer Reihe weiterer grüner Kreis- und Ortsverbände sowie von verschiedenen Bürgerinitiativen und Naturschutzorganisationen.