Gastbeitrag Daniel Freund: Für eine wehrhafte Demokratie in Europa

Die Vorteile der Demokratie bemerkt man häufig erst dann, wenn sie nicht mehr da ist. Dann, wenn der Rechtsstaat demontiert ist und Demokratiefeinde in Regierungsverantwortung sind. Da werden Zeitungen geschlossen, weil sie die Regierung kritisieren. Da verschwinden öffentliche Gelder in Milliardenhöhe und die Übeltäter gehen straffrei aus. Da werden Oppositionspolitiker bespitzelt wie Staatsfeinde. Es sind Zustände, die für uns in Deutschland dystopisch klingen mögen. Doch in einigen Mitgliedstaaten sind sie – in Teilen – bittere Realität geworden. 

Viktor Orban hat in den vergangenen 12 Jahren systematisch die Demokratie in Ungarn zerstört. Ich habe es auf meinen Reisen in das Land immer wieder erleben müssen, wie Menschen mit den Instrumenten eines Willkürstaats fertig gemacht werden: Journalisten, die Zivilgesellschaft, Oppositionelle. Ihr Vergehen: Sie haben es gewagt, die Politik von Orban anzuprangern. Ja, Ungarn ist nicht Deutschland, mögen jetzt viele entgegenhalten. Ungarn ist weit weg. Und die Ungarinnen und Ungarn hätten Orban ja selbst in Regierungsverantwortung gewählt. Aber ist das wirklich so? Ungarn ist Mitglied der EU und bestimmt im Europäischen Rat maßgeblich Politik für 450 Millionen Europäer*innen mit. Und eine echte Wahl hatten die Ungar*innen bei den verzerrten Wahlen auch nicht mehr.  

Die Gefahr, die vom Diktatoren-Kurs Orbans für ganz Europa ausgeht, ist gewaltig. Denn Viktor Orban hat in den vergangenen 14 Jahren gezeigt, was möglich ist an Demokratie-Abbau in Europa, ohne dass die EU entschieden eingreift. Er liefert den Rechtspopulisten in der EU die Blaupause für ihren Kampf gegen demokratische Institutionen und unsere gemeinsamen Europäischen Werte. Es ist ein Abrissplan, der aufmerksam studiert wird von Alice Weidel und Marine Le Pen. Nicht weniger gravierend ist die Tatsache, dass Viktor Orban in den vergangenen Jahren als Statthalter von Wladimir Putins Interessen in der Europäischen Union agiert. Wichtige Entscheidungen werden einfach per Veto blockiert. Die EU wird erpresst und in vielen Bereichen de facto lahmgelegt. Russischen Interessen wird Tür und Tor geöffnet. Viktor Orban ist ein Sicherheitsrisiko für die ganze EU. 

Diese Zustände dürfen wir nicht ignorieren. Europa muss handeln – und zwar schnell. Zum einen, weil bei der kommenden Europawahl am 9. Juni ein weiterer Rechtsruck droht, der den Verbündeten Orbans in Europa den Rücken stärken könnte. Und weil Orban selbst am 1. Juli die rotierende Ratspräsidentschaft der EU übernehmen soll. Der Handlanger Putins im Chefsessel der EU. Ein Schreckensszenario. 

Diesen Kampf gegen den Demokratiefeind Orban habe ich in den vergangenen fünf Jahren im Europaparlament angenommen. Ich habe mich mit voller Leidenschaft stark gemacht für unsere gemeinsamen Werte und unsere Demokratie. Es ist politische Schwerstarbeit, aber sie trägt Früchte. 

Ich kann mich an meine ersten Wochen 2019 im EU-Parlament erinnern. Gegen Viktor Orban, so sagten es damals viele, da kann man nichts machen. Der sei zu mächtig mit seinem Veto. Der sei geschützt durch die Konservative Parteienfamilie. Also habe ich das gemacht, was Europa für mich am meisten ausmacht: Bündnisse schmieden. Zusammen mit einem finnischen Konservativen, einer spanischen Sozialdemokratin und einer ungarischen Liberalen haben wir das Gesetz auf den Weg gebracht, mit dem wir Viktor Orban – und allen Demokratiefeinden in der EU – beikommen können: Dem Rechtsstaatsmechanismus, also dem Instrument, welches EU-Gelder an die Einhaltung unserer Werte knüpft. Als sich Ursula von der Leyen dann noch über Monate weigerte, dieses Gesetz gegen Orban anzuwenden, haben wir sie vor dem EU Gerichtshof verklagt. Dieser Einsatz hatte Erfolg! Seit mehr als einem Jahr sind mehr als 20 Milliarden Euro EU-Gelder an den Autokraten in Budapest eingefroren. 

Das war aber nur ein Etappensieg. Jetzt gilt es, die Europäische Demokratie wirklich wehrhaft zu machen. Wie schaffen wir das? In dem wir sie ausbauen! Nach der Europawahl müssen wir dafür sorgen, dass undemokratische nationale Vetos von Mitgliedstaaten endlich abgeschafft werden, damit wir handlungsfähig sind. Wir müssen die Bürger*innenbeteiligung stärken und durchsetzen, dass die Stimme der Wähler*innen darüber entscheidet, in welche Zukunft die Europäische Union steuert. So schützen wir Europas Demokratie wirklich gegen ihre Feinde. 

von Daniel Freund, MdEP 

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